Warum Forschung für uns so wichtig ist


Welchen Einfluss hat das Coronavirus auf die Vorhersage der Apartmentanfragen? Was bewirkt ein Leading-Indikator? Und wieso interessiert uns das Kundenverhalten? Costas Leon, Forschungs- und Prozessspezialist bei GLANDON Apartments, verrät es im Interview.
Costas Leon, Sie sind Forschungs- und Prozessspezialist bei GLANDON Apartments. Seit wann wird Forschung im Unternehmen gross geschrieben und auf welchen Gebieten wird sie primär betrieben?
Costas Leon: Ich arbeite seit März 2018 bei GLANDON Apartments. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen bereits beachtliche Mengen an Datenmaterial gesammelt, jedoch ohne sie weiterzuverarbeiten. Für mich gab es zwei Richtungen respektive Prioritäten: Zum einen wollte ich die Daten in Form von Durchschnitts- und Standardabweichungen zusammenfassen und visualisieren. Zum anderen ging es mir um das Thema Datenmodellierung, so dass wir im besten Fall nützliche «theoretische Beziehungen» für das Unternehmen entdecken können. Beides wird heute so umgesetzt.

Welche Arten von Datenmaterial sammeln Sie genau?
Es gibt etliche Bereiche in einem Unternehmen, die Datenmaterial produzieren. Zum Beispiel liefern Anfragen und Verträge betriebliche Daten und aus der Buchhaltungsabteilung kommen Finanzdaten. Wichtig ist, dass diese Daten sinnvoll organisiert werden. So haben wir bei GLANDON Apartments mehrere statistische Zeitreihen mit täglicher, wöchentlicher und monatlicher Häufigkeit. Gegenwärtig verfügen wir über einen vollständigen Satz von 43 Zeitreihen, die monatlich, vierteljährlich und jährlich zusammengeführt werden.

Wozu genau dienen diese Zeitreihen?
Sie dienen in erster Linie der Überwachung und Vorhersage. Diese Zeitreihen ermöglichen nicht nur ein besseres Verständnis der aktuellen Geschäftstätigkeit, sondern auch eine effizientere kurz- und mittelfristige Planung.

Sie erwähnten vorhin die Datenmodellierung. Welche Bereiche deckt diese denn genau ab?
Gegenwärtig decken wir die folgenden drei Hauptbereiche ab: Anfragen- und Vertragsprognosen, Aktivitätsindikatoren und Kundenbewertungen.

Wie genau funktioniert die Vorhersage der Apartment-Anfragen? Wie kann sich der Laie das vorstellen?
Wir haben insgesamt vier Prognosemodelle, die sich auf die wöchentliche und monatliche Zahl der Apartment-Anfragen und abgeschlossenen Verträge beziehen. Die dynamische Struktur (siehe Grafik 1) dieser Modelle ist unterschiedlich. Das ist auch der Grund dafür, dass es sich um vier verschiedene Modelle handelt. Die Modelle werden separat geschätzt, und dann wird ein mathematisches Optimierungskriterium verwendet, damit die Vorhersagen konsistent sind. Im Allgemeinen handelt es sich bei allen Modellen um verschachtelte Fälle der Modellklasse ARFIMAX, die den Prinzipien des «General-to-Specific Modelling» folgen. Dies ist eine Teststrategie, die an der London School of Economics und der Universität Oxford entwickelt wurde. Die Forschung bei GLANDON Apartments zeigt, dass Modelle mit konstanten Parametern unter normalen Bedingungen durchaus in der Lage sind, die in der tatsächlichen Zeitreihe beobachtete Dynamik nachzuahmen.

Grafik 1: Autokorrelation und partielle Autokorrelationsfunktion eines hypothetischen AR(2)-Prozesses

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Quelle: Schätzung des Interviewten

Wie erfolgreich sind diese Vorhersagen?
Statistisch gesehen sind die Vorhersagen in den meisten Fällen erfolgreich. Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Prognosen innerhalb des vom Modell vorhergesagten Bereichs liegen. Aus Unternehmenssicht hingegen sind die Vorhersagen nicht immer erfolgreich respektive nützlich: Das Rauschen (unstrukturierte Informationen) ist manchmal recht hoch. Das hat einen Einfluss auf die Reichweite der Prognose. Ausserdem verbirgt das Rauschen andere Informationen, deren Strukturen noch unbekannt und schwierig zu identifizieren sind. Das Rauschen bei den täglichen Anfragen unterscheidet sich ganz erheblich vom Rauschen bei wöchentlichen oder monatlichen Anfragen. Teil des Prozesses ist es aber auch, die Modelle fortlaufend zu überarbeiten und zu verbessern.

Hat das Coronavirus die Vorhersagen erschwert?
Alle Modelle arbeiten effektiv innerhalb eines bestimmten Bereichs von tatsächlichen Zeitreihenwerten. Wenn diese Werte eine Unter- oder Obergrenze überschreiten wie es während der Corona-Pandemie der Fall war, arbeiten die Modelle nicht mehr effektiv, und dies spiegelt sich in mehreren Leistungsmetriken wider. Die statistische Struktur der Modelle ist nicht in der Lage, die tatsächliche Dynamik zu erfassen. Das bedeutet, dass die Prognosen statistisch gesehen weder korrekt noch nützlich sind. Das hat mich dazu veranlasst, die Struktur der Modelle zu verändern, indem ich zeitvariable Parametern mit Hilfe des Kalman-Filters (siehe Grafik 2) anstelle von konstanten Parameter wie unter normalen Bedingungen eingefügt habe. Diese Modelle erwiesen sich als besser und konnten zumindest einen Teil der extrem ungewöhnlichen Situation während der Corona-Pandemie erfassen. Trotzdem blieb aber die Instabilität hoch und die Vorhersagen waren auf dem Höhepunkt des Coronavirus immer noch ungeeignet für eine effektive Planung.

Grafik 2: Hypothetischer Prozess mit zeitvariablen autoregressiven Parametern
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Quelle: https://it.mathworks.com/help/control/ug/kalman-filtering.html

Was ist mit den Indikatoren? Inwiefern sind sie nützlich?
In einem geschäftlichen Umfeld ist ein Indikator eine Zeitreihe oder eine Reihe von Zeitreihen, die das gegenwärtige oder zukünftige Niveau von Schlüsselaktivitäten widerspiegeln. Bei GLANDON Apartments arbeiten wir mit Indikatoren auf einem fortgeschritteneren Niveau, ähnlich denen, die von Wirtschaftsforschungsinstituten, z. B. KOF/ETH Zürich, entwickelt wurden, jedoch mit einer deutlich geringeren Anzahl von Zeitreihen. Die Idee dahinter ist, dass mehrere Zeitreihen in Bezug auf ihre dynamischen Eigenschaften betrachtet, optimal zusammengesetzt (synthetisiert) und in einen einzigen Indikator transformiert werden können – der die Gegenwart und die Zukunft der Geschäftstätigkeiten optimal zusammenfasst.

Wie viele Indikatoren haben Sie entwickelt?
Ich habe drei Indikatoren entwickelt: einen Leading-Indikator, einen gleichlaufenden Indikator und einen Diffusionsindex.

Was bewirkt ein Leading-Indikator?
Der Leading-Indikator kann – sehr einfach ausgedrückt – die Höhe der Einnahmen vorhersagen. Dieser Indikator entspricht denjenigen, die von Makroökonomen entwickelt wurden, um die Wahrscheinlichkeit einer Rezession einzuschätzen. Daher kann dieser Indikator allfällige Wendepunkte bei den Einnahmen einen Monat im Voraus erfassen.

Das klingt interessant. Wie exakt ist diese Vorhersage?
Ein Leading-Indikator allein prognostiziert in 61 Prozent der Fälle eine korrekte Vorhersage. Nicht schlecht, aber nicht beeindruckend. Allerdings verbessert sich dieser Wert, wenn der Leading-Indikator mit anderen Zeitreihen kombiniert wird. Das ist ein laufendes Projekt.

Und was ist mit dem gleichlaufenden Indikator?
Der gleichlaufende Indikator misst die aktuelle Geschäftstätigkeit. Er setzt sich aus sieben Zeitreihen zusammen, die optimal aufeinander abgestimmt sind. Die Bewegungen der «stärkeren» Zeitreihen bestimmen die Richtung des Indikators sowie seine Grösse.

Was genau misst der Diffusionsindex?
Der Diffusionsindex ist ein weiterer Indikator, der das Ausmass misst, in dem sich die Variablen in der aktuellen Periode in die gewünschte Richtung bewegen. Zum Beispiel trägt ein gleichzeitiger Anstieg der Anfragen und Verträge positiv zu diesem Index bei, ein Rückgang hingegen negativ. Wenn die Anfragen zunehmen, aber die Verträge abnehmen oder umgekehrt, dann bewegt sich der Index aufwärts oder abwärts oder bleibt gleich – je nach den optimalen Gewichten, die während der Prognosen ermittelt wurden. Mit anderen Worten: Der Diffusionsindex ist ein Indikator für gute, schlechte oder neutrale Nachrichten.

Sie erwähnten die Modellierung der Kundenbewertungen. Wie genau funktioniert das?
Wie fast alle Unternehmen lässt sich GLANDON Apartments von den Kundinnen und Kunden bewerten. Wir fragen die Qualität der Dienstleistungen ab in den Sparten Reinigung, Umgebung, Erlebnis und Ausstattung. Dann wird die durchschnittliche Punktzahl all dieser Sparten zusammengezählt und ergibt eine Gesamtbewertung der erbrachten Dienstleistungen.

Unterscheidet sich die Modellierung der Kundenbewertungen von der anderer Unternehmen?
Die Mehrheit der Unternehmen verwendet wann immer möglich deskriptive Statistik, das sind hauptsächlich Durchschnittswerte, Standardabweichungen und einfache Trendmodellierungen. Bei GLANDON Apartments ist die statistische Analyse von Rezensionen in fortgeschrittenere Untersuchungsmodi übergegangen. Eine Frage lautet zum Beispiel: Welche Werte für Reinigung, Ausstattung usw. sind erforderlich, um einen zuvor definierten Zielwert zu erreichen? Die Analyse mittels statistischer Schätzungen und Simulation identifiziert diejenigen Sparten, die den grössten Einfluss auf die Wahrnehmung der Kunden haben. GLANDON Apartments berücksichtigt diese Sparten besonders stark, so dass wir gleichzeitig sowohl eine höhere Kundenzufriedenheit als auch niedrigere Betriebskosten erreichen können.

Wie möchten Sie die Forschung bei GLANDON Apartments weiter vorantreiben?
Ich habe begonnen, mit einigen Clustering- und Klassifizierungstechniken zu arbeiten (siehe Grafik 3). Sie befinden sich in der ersten Phase ihrer Entwicklung. Sie werden uns helfen, Ähnlichkeiten im Verhalten der Kunden zu verstehen. Im Moment habe ich jedoch noch keine konkreten Schlussfolgerungen gezogen.

Grafik 3: Clustering und Klassifikation mit hypothetischen Daten

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Quelle: www.techdifferences.com

Sie sagen, dass diese beiden Techniken dabei helfen, das Kundenverhalten zu untersuchen. Ist es dadurch möglich, Kunden zu identifizieren?
Nein, sowohl die Clusterbildung als auch die Klassifizierung ergeben kollektive Verhaltensweisen, indem sie Gruppen von Menschen innerhalb eines Clusters oder einer Klasse abbilden. Zum Beispiel können wir feststellen, dass Menschen, die in Gebiet A leben, dazu neigen, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten, die sich von der von Menschen unterscheidet, die in Gebiet B leben. Dies könnte dazu führen, dass wir zum Beispiel unterschiedliche Richtlinien formulieren. Eine Identifizierung von Kunden hingegen ist weder möglich noch sinnvoll.

Sie haben zu Beginn des Interviews «theoretische Beziehungen» angesprochen und dass sie diese entdecken wollen. Waren Sie erfolgreich?
Ich würde sagen, ja und nein. Ja, denn wir sehen, dass es bei einigen Variablen, die von Interesse sind, ein gewisses Muster gibt. Nein, weil es nicht möglich ist, diese Ergebnisse auf andere Unternehmen zu übertragen. Dies würde einen anderen Ansatz erfordern. Wichtig zu wissen ist: Wir entdecken nicht wirklich «theoretische Beziehungen». Das wäre übertrieben ehrgeizig, und ich würde jemandem, der zu einer solchen Aussage kommt, nicht trauen. Wir haben bestenfalls eine Reihe von Hypothesen, die statistisch getestet wurden. Die Akzeptanz von statistischen Hypothesen ist nicht identisch mit der Entdeckung oder Akzeptanz eines theoretischen Rahmens.

Haben Sie einige abschliessenden Gedanken zur Forschung bei GLANDON Apartments?
Die bei GLANDON Apartments verwendeten statistischen Techniken gehören zur fortgeschrittenen Modellierung. Nichtstationäre Zeitreihenanalyse, Vektor-Fehlerkorrekturmodelle, Kalman Filter, und dynamische Faktormodelle sind einige Beispiele für diese Techniken. Doch wie der renommierte Statistiker George Box sagt: «Ihrem Wesen nach sind alle Modelle falsch, aber einige sind nützlich». Damit ist gemeint, dass alle Modelle zwar einige Aspekte der Realität erfassen, andere Aspekte aber aussen vor lassen. So gesehen sind alle Modelle falsch. Einige von ihnen sind jedoch für bestimmte Zwecke nützlich. Auf diese Weise verstehe ich persönlich die statistische Modellierung bei GLANDON Apartments. Modelle sind wertvolle Werkzeuge, die unter strengen Voraussetzungen, die in der Praxis nicht unbedingt alle gegeben sind, relativ gut funktionieren können. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind – und das ist in der Regel so – ist die Qualität von Modellen als Darstellungsmittel der Realität noch geringer. Dann können sie unabhängig von ihrer statistischen Raffinesse die Realität nur grob abbilden. Wie nützlich diese Modelle sind, hängt vor allem von ihrer Interpretation und sorgfältigen Verwendung ab. Im Geschäftsumfeld treten tagtäglich unvorhersehbare Faktoren auf. Manchmal ist es schwierig zu erkennen, was sinnvolle Informationen sind und was einfach nur Rauschen ist. Das Management von GLANDON Apartments und ich sind uns dieser Einschränkung aber bewusst – selbstverständlich wird die Unternehmenspolitik unter diesen Vorbehalten formuliert.